Zunft hat Zukunft

Das Handwerk muss sich um morgen nicht sorgen

 

Nicht mehr und härter werden wir arbeiten, sondern smarter, Technisierungsmög­lichkeiten nutzen und so Freiräume für Kreativität schaffen. Wir werden zeitliche und physische Belastungen reduzieren und erhalten einen Gewinn an Sinn: Was Richard David Precht kürzlich anlässlich des 100 TOP-Jubiläums als Perspektiven der Arbeitswelt insgesamt und besonders des Handwerks schilderte, kann mitten in der aktuellen Multi-Krisenlage optimistisch stimmen.

 

Zwar ließ der Philosoph und Gesellschaftsforscher keine Zweifel daran, dass uns auch Problemkonstellationen erwarten. Zum Beispiel wird schon bald ein Zusammentreffen von Fachkräftemangel und gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit zu bewältigen sein, da Mismatch-Effekte zwischen Marktanforderungen und dem Angebot vorhandener Qualifikationen drohen. Unter anderem wird ganz sicher die Digitalisierung Millionen Arbeitsplätze kosten, denn sie macht alle Tätigkeiten überflüssig, die sich an Programme und Computer delegieren lassen, bis hin zu komplexeren Sachbearbeitungsabläufen. Auf diese massive Wandel-Welle und deren Folgen – unter anderem eine Überforderung des sozialen Sicherungssystems – sind wir überhaupt nicht vorbereitet.

 

Doch ebenso machte Professor Precht ganz klar deutlich: Dem Bedeutungsverlust der herkömmlichen White Collar-Berufe wird eine ganz erhebliche Aufwertung des Handwerks gegenüber stehen, und der Veränderungsprozess, der dorthin führt, hat schon begonnen. Die Handwerksberufe werden sogar zu den Gewinnern der Entwicklung zählen, und zwar nachhaltig und langfristig.

 

Die Begründungen waren natürlich differenzierter, aber man kann Prechts Zukunfts­prognose praktisch und pragmatisch auf die Formel herunterbrechen: Was der Com­puter besser machen kann als ein Mensch, wird der Computer machen. Und Hand­werkerinnen und Handwerker können eben sehr viel, was Computer nie können werden!

 

Erfolgsfaktor: Handwerk verbindet Leistungen von Hand, Herz und Hirn

Darüber hinaus wird es eine wachsende Wertschätzung für Arbeitsleistungen geben, in denen Menschen für und mit Menschen tätig sind bzw. deren Erbringung Einfühl­ung bzw. differenziertes Eingehen auf die Bedürfnisse anderer erfordert. Auch beim handwerklichen Tun gehören solche Kompetenzen selbstverständlich mit dazu, sind sogar oft unverzichtbar. Die weitgehende Digitalisierung und Automatisierung vieler anderer Prozesse lässt zudem Handgefertigtes und hochwertige Ausführungen zu Luxusgütern avancieren.

 

Die logische Schlussfolgerung mag überraschen, aber sie trifft es doch genau: Das Handwerk hat unter anderem auch deshalb so viel Zukunft, weil es mit seinem spezi­fischen Kompetenzprofil einerseits ein Qualitätsniveau liefert, das industriell nicht herstellbar ist, und letztlich andererseits zu den Empathiebranchen zählt.

 

Prognosen und Analysen von Trendforschungsinstitutionen wie zum Beispiel dem Zukunftsinstitut bestätigen Prechts Voraussagen und definieren zugleich die Rahmenbedingungen, die den einzelnen Unternehmen bestmögliche Entwicklung sichern können.

 

Ganz entscheidend: Entschiedenheit!

Als wohl wichtigster Zukunftsgarant überhaupt gilt die Resilienz. Die Fähigkeit, anpassungsfähig und angemessen, kompetent und kreativ auf Herausforderungen und Wandel, Probleme und Krisen, zu reagieren, ist unverzichtbar, um sicherer durch unsichere Zeiten zu kommen. Das kann auch mit sich bringen, dass man sich von bewährten Reaktionsmustern verabschiedet und hier und da sozusagen auch mal mutiger ist, als einem zumute ist…. Mehr Zuversicht statt immer nur Vorsicht, auf diese Formel könnte man es bringen. „Zukunft ist eine Entscheidung“, schreibt Zukunftsinstitut-Trendforscher Ali Mahlodji: „Organisationen und Führungspersonen brauchen Resilienz, um im Hier und Jetzt handlungsfähig zu sein und sich für die Zukunft als aktiven Gestaltungsprozess zu entscheiden.“

 

Digital ist nicht egal

Ein weiterer Veränderungsimpuls kommt aus der Welt der Digitalisierung und Tele­arbeit. Zwar sind Remote-Baustellen nicht denkbar, eine Handwerksleistung wird naturgemäß immer vor Ort ausgeführt werden müssen. Und man kann auch keinen vorgefertigten Lösungsalgorithmus, erst recht keinen cleveren Kniff oder spontanen Einfall downloaden, wenn man auf ein verzwicktes Reparaturproblem trifft. Hier sind gelerntes Fachwissen und dessen souveräne Anwendung mit handwerklichem Können gefordert, um die Aufgabe konkret und individuell zu lösen. Aber dass solche Anforderungen im Alltag überwiegen, ist keine Absolution für passives Abwarten in Digitalisierungsfragen.

 

Doch nach wie vor besteht in vielen Betrieben gerade auch der Baubranche eine gewisse Tendenz, sich der Digitalisierung eher noch ein bisschen zu entziehen. Oft widmet man sich diesem Bereich nur, wo es unumgänglich ist, beklagen Branchen- und Digitalisierungsexperten.

 

Einige Gründe für die große Zurückhaltung erscheinen zunächst verständlich. Zum Beispiel, wenn auf den Mitarbeitermangel verwiesen wird. Er führt dazu, dass nur geringe Ressourcen für die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Technolo­gien zur Verfügung stehen. Andererseits sind es jedoch gerade die digitalen Instru­mente, die dazu beitragen können, Mitarbeitermangel zu kompensieren! Also ist es fatal, sich hier nicht zu interessieren, nicht zu innovieren, nicht zu investieren und nichts zu installieren. Denn je mehr Büroabläufe, Planung, Projektkoordination, Informationsfluss und Austausch durch digitale Applikationen erleichtert, beschleu­nigt, gesteuert, hier und da sogar komplett erledigt werden, desto größer ist die Entlastung fürs Team. Die Fehleranfälligkeit sinkt, die Effizienz steigt, ebenso die Produktivität.

 

Um dorthin zu gelangen, muss man nun mal leider umdenken. Muss die neuen Technologien und Programme lernen und ihre Anwendung üben. Doch wer das absolviert hat, kann bestätigen: Das ist zwar ungewohnt, aber im Ergebnis alles andere als unerfreulich. Und um nochmal zum oben zitierten Beispiel der Problemreparatur zurückzukehren: Wenn ein mit handwerklichen Experten besetztes Back Office im Betrieb vorhanden ist, das bei Problemen online konsultiert werden kann und Lösungs-Anleitungen übermittelt, wird auch die Arbeit vor Ort durch digitale Unterstützung zum Teil erheblich erleichtert. Davon profitieren alle. Und so vorzugehen nimmt noch etwas Stress aus dem ohnehin anspruchsvollen Arbeitsalltag.

 

Kreativität statt Klischees

Umdenken ist auch gefragt, wenn wir uns in der Baubranche von altgewohnten Mustern verabschieden wollen und müssen. Das betrifft nicht zuletzt die bisher gängigen Rhythmen und Rollen. Wenn in vielen anderen Wirtschaftsfeldern neue Arbeitszeitmodelle mehr Freiräume sichern, zum Beispiel durch Einführung der Viertagewoche und attraktive Zeitkontenlösungen, kann dies auch der Handwerkspraxis mehr Attraktivität verleihen. Erste Erfahrungsberichte aus Mitgliedsbetrieben bestätigen dies. Oder beispielsweise auch der gigantische Personalwerbeerfolg, den im Sommer ein Klempnerunternehmen in Baden-Württemberg erzielte: Nachdem die Firma mit der Viertagewoche um Auszubildende geworben hatte, erhielt sie dreimal so viel Bewerbungen, als sie Ausbildungsplätze zu vergeben hatte.

 

Ähnlich verhält es sich mit Geschlechtsrollenklischees. Schon länger werden unter dem Stichwort Gender Shift Prozesse beschrieben, die den Ein- und Aufstieg von Frauen in sämtlichen Wirtschaftsbereichen stärken. Auch im Handwerk tut sich viel, zum Glück selbst in der bislang vorwiegend männlich geprägten Baubranche. Da sich nach und nach immer mehr weibliche Auszubildende qualifizieren können und bis zu Meisterbrief und Firmenübernahme oder Unternehmensgründung aufsteigen, gibt es zudem immer mehr weibliche Vorbilder für den Nachwuchs. Das ist sehr wichtig, denn solche Meisterinnen und Chefinnen geben Orientierung und machen Mut.

 

Der Trend wird anhalten, und er sollte vom Handwerk engagiert gefördert werden, fordern die Wirtschafts- und die Gesellschaftswissenschaften. Langfristig rechnen sie mit einer Arbeitswelt, in der das Geschlecht überhaupt keine Rolle mehr spielt, Aufgabenarten, Privilegien und Chancen nicht länger daran geknüpft sind, ob man eine Frau oder ein Mann ist. Diese langfristige Entwicklung wird häufig mit dem Begriff „Ungendering“ belegt und besagt: Entscheidend sind zunehmend Qualifikation, Können/Kompetenz und Leidenschaft für den Beruf. Und da ist es von außerordentlichem Vorteil, dass Maschinen uns zukünftig immer mehr körperlich belastende Aufgaben abnehmen werden. So fällt ein Faktor weg, der bis dato in bestimmten Berufsfeldern – etwa auch im Bau – noch einen Nachteil für die volle Einbeziehung und Mitwirkung von Frauen bedeutet hatte.

 

Sinn und Werte: Wofür das Handwerk seit je her stand, hat weiter Bestand

Ebenso spielt auch das Trend-Thema Sinn dem Handwerk in die Hände. Längst ist unsere Gesellschaft auf dem Weg zu einer „Sinn-Ökonomie“, die den Wert von Pro­dukten und Leistungen nicht mehr nur nach finanziellen Maßstäben und schnellen Erfolgstakten bemisst, sondern auch nach deren ökologischem und sozialem Nutzen. Dass ökonomische und ethische Kategorien zu einem Wandel von Bewertungskrite­rien führen, bedeutet eine erhebliche Aufwertung gerade auch der handwerklichen Tätigkeiten und ihrer Ergebnisse. Plötzlich wünschen sich immer weniger Menschen Dinge, die „neu“ sind. Stattdessen wird zunehmend nach dem gefragt, was qualitätvoll und mit Liebe hergestellt ist und lange hält.

 

Die Modebranche, in vielem Vorreiter, von dem starke gesellschaftliche Trendsignale ausgehen, bringt zunehmend Labels hervor, die für genau dies einstehen. Fast Fashion ist auf dem Rückzug, immer stärker nachgefragt wird Zeitloses, hochwertig, nachhaltig produziert, das zum Lieblingsstück taugt und viele, viele Saisons überdauert. Die Botschaft, die von solchen Entwicklungen ausgeht, lässt sich auf fast alle Branchen übertragen. Erst recht auf die Baugewerke wie etwa die Dachdeckerei, die schon immer darauf ausgerichtet waren, Beständiges zu schaffen und Werte zu sichern, zu erhalten, zu steigern.

 

Hinzu kommt dann noch der Aspekt der persönlichen Befriedigung, der Umfragen zufolge ein bedeutendes Plus darstellt und ganz besonders für Handwerksberufe spricht. „Abends kann man sehen, was man den Tag über geschaffen hat.“ „Es ist einfach toll, wenn ich an einem Haus oder historischen Gebäude vorbeifahre und weiß: an dem schönen Dach hast du mitgearbeitet, dieses Denkmal hast du retten geholfen!“ „Cool zu wissen, dass das, was man baut, einen echten Nutzen hat.“ „Man kann dafür sorgen, dass die Welt auch bei Sturm ein bisschen sicherer ist.“ Solche Begründungen äußern Dachdeckerinnen und Dachdecker immer wieder, wenn sie danach gefragt werden, warum sie so viel Spaß an ihrem Beruf haben. Ganz besonders sympathisch fasst es diese kompakte Antwort zusammen: „Schön macht froh, und glückliche Kunden machen glücklich!“

 

Last but not least ist auch ein Trend im Handwerk wirksam, den die Forscher mit dem etwas irreführenden Begriff der „Playfulness“ überschreiben. Irreführend deshalb, weil es hier absolut nicht um ein neues Konzept vom Berufsleben als lustigem Spielspaß geht, sondern vielmehr um größere Spielräume, mehr und neue Freiräume. Freiräume zum Beispiel für beweglichere Betriebsorganisation und ein unkonventionelleres Ideal guter Mitarbeiterschaft.

 

An die Stelle von Druck und Funktionierenmüssen treten Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Wir-Kultur, stärkere Förderung der Kreativität, mehr Wertschätzung und Aufgaben, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit bestätigen. Auch hier hat das Handwerk wieder mehr als einen Stein im Brett! Denn Selbstwirksamkeit, also den Glauben an sich selbst, die Überzeugung, dass man Herausforderungen gewachsen ist und Schwierigkeiten eigenständig meistern kann, vermittelt kaum etwas so gut und verlässlich wie eine qualifizierte handwerkliche Ausbildung. Wo solche Faktoren Teil des Berufsbilds sind, ist man auch morgen bestens aufgehoben. Das Handwerk kann und sollte dies in seinen Karriere-Botschaften verstärkt zum Ausdruck bringen.

 

Man sieht, das Handwerk generell und insbesondere auch die Dachdeckerei besitzen reichlich Zukunftspotential. Das bedeutet Orientierung und Stabilität. Und davon können wir in diesen unsicheren Zeiten reichlich gebrauchen.